Die Sonne steht noch hoch am Himmel, obgleich es fast 18:00 Uhr ist. Soweit das Auge reicht: Steppe, unterbrochen hin und wieder von erodierten Felsen. Über dem Boden flimmert die Luft. Im Auto herrscht unbeschreibliche Hitze. Nachdem letztes Jahr die Winterniederschläge der Estremadura ausgeblieben sind, wirkt alles vertrocknet. Und doch wimmelt es von Bodeninsekten, vornehmlich Heuschrecken, die die Fahrwege in einem grünen Dunkelgrau erscheinen lassen. Immer wieder müssen die ins Wageninnere eingedrungenen Insekten entfernt werden. Doch das Fenster muß offenbleiben. Nicht wegen der Hitze, sondern wegen eines eigenartigen Vogels. Schließlich wollen wir ihn hören. Jetzt muß man ruhig sitzen bleiben. Keine allzu hektischen Bewegungen mache. Auch nicht, wenn allzu lästige Mücken um den Kopf schwirren.
Die Steppen von Caceres und Trujillo sind berühmt für ihre Steppenvogelwelt. Wiesenweihe (Circus pygargus), Großtrappe (Otis tarda), Triel (Burhinus oedicnemus), Spiessflughuhn (Pterocles alchata), Sandflughuhn (Pterocles orientalis), Kalanderlerche (Melanocorypha calandra) und dann das eigentliche Objekt der fotografischen Begierde. ‘Raspberry roller nennen ihn bisweilen englische Ornithologen. Die deutsche Bezeichnung „Zwergtrappe“ für Tetrax tetrax ist doch etwas trocken und uninteressant, vermutet man doch hinter einem Vogel dieses Namens nur eine Kleinausgabe der Großtrappe. Dafür ist er aber zu schade. Wenn von ‘er‘ die Rede ist, dann ist der Zwergtrapphahn gemeint. Er ist ein echter Macho, laut und auffällig im Vergleich zu den Weibchen, die sich kaum in Szene setzen und die man im Frühjahr nur selten zu sehen bekommt.
Den ganzen Abend habe ich schon geduldig auf ihn gewartet. Jetzt ist der knarrende Balzruf ganz deutlich zu hören: ppptttrrrrrr. Das ist wirklich eindrucksvoll. Aber halt: nicht ein Hahn balzt. Von allen Seiten ertönt das gleichförmige Knarren. Noch ist nichts zu sehen, aber viel zu hören.
Der Balzgesang der Zwergtrappe gehört nicht unbedingt zu den akustischen Genüssen dieser Welt. Er erinnert an den Klang von Kastagnetten. Und noch etwas macht dieses Geräusch so faszinierend: es verbirgt den Sänger, ist damit diskret und heimlich und trotzdem weithin hörbar.
Beim Balzplatz handelt es sich oft um eine exponierte Stelle auf der Kuppe eines Hügels mit gutem Überblick. Gerne werden markante Landschaftselemente aufgesucht. Ein Steinhaufen oder ein kleines Felsgebilde sind wohl nicht nur gute Wiedererkennungszeichen für den Beobachter sondern markieren auch das Revier.
Es ist jetzt Mitte Mai und das Spiel geht jetzt jeden Abend auf diese Weise. Die besten Traumhähne stehen schon fest. Die ganze Zeit über ist von den Weibchen nicht viel zu sehen. Ab und zu taucht ein Weibchen im niedrigen Gras mit ihrem teleskopartiger Kopf und einem mißtrauischen Blick auf. Sie picken, scheinen noch nicht in der rechten Stimmung zu sein. Wer jetzt aus dem Auto steigt und meint, im Gelände pirschend mehr zu sehen, hat schon verloren. Auch aus naturschützerischen Gesichtspunkten sollte man diese Störung der Tiere nicht verursachen.
Abfliegende Weibchen lassen den Trapphahn spürbar die Lust verlieren. Zwergtrappen haben ohnehin eine Fluchtdistanz von mindestens 100 Metern. Das Männchen unserer Wahl, das wir tagelang aus dem Auto beobachtet haben, balzt auf einer Kuppe direkt neben einem Staubweg, der zu einer Finca führt. Dieser Hahn ist also Störungen durch vorbeifahrende Autos gewohnt. Hinzukommt, daß diese Kuppe trotz der Störungen den Vorteil aufweist, höher als die Balzplätze der angrenzenden Rivalen zu liegen. Da müssen die in den Senken versteckten Weibchen doch reagieren. Wir fangen langsam an, die Welt mit den Augen einer Zwergtrappe zu sehen. Das Aufstellen eines Tarnzelts ist in der Steppe immer ein delikates Vorhaben. Der weithin sichtbare Fremdkörper könnte den Vogel abschrecken – oder?
Eingraben in den zementartig verbackenen Boden der Estremadura erscheint sinnlos. Stundenlang auf einer Isomatte auf dem Boden liegen ist eine Tortur. Gerade in der Estremadura gibt es in der Steppe häufig verwitterte Felsformationen von anstehendem Schiefer. Es sind auch Steinhaufen vorhanden, die von den Schäfern geschichtet wurden. Beide Landschaftselemente kann man nutzen, um ein Fotoversteck anzulehnen.
Welch ein Glücksgefühl durchströmt den im Zelt Wartenden, wenn er dann nach Stunden des Wartens das erste Mal das ‘pttrrr‘ vernimmt. Mal näher, mal weiter entfernt ist das Geräusch zu hören. Jetzt nur nicht mit dem Teleobjektiv schwenken und suchen. Bei Trappenfotografien ist Geduld die einzige Erfolgschance. Plötzlich steht er da. Der Hahn ist gut mit bloßem Auge sichtbar. Aus der Nähe ist die typische Trappenform zu erkennen. Der gestreckte Hals, der waagerechter Körper, die kräftigen Beine sind deutlich wahrnehmbar. Das Prachtkleid des Männchens wirkt trotz aller Tarnung sehr auffällig, vor allem der schwarze Hals, der mit einem doppelten weißen Halsband (das obere in Form eines V) versehen ist. Das Rückengefieder des Vogels ist goldbraun und wundervoll dunkel marmoriert. Das Auge mit der goldenen Iris hat etwas Stechendes an sich. Das Auge scheint das Mißtrauen und die Vorsicht des Tieres geradezu zu betonen.
Stück für Stück nähert sich der Hahn dem Balzplatz, noch immer habe ich keine einzige Aufnahme gemacht. Endlich steht er auf dem Balzplatz, sein Ritual vorführend. Vor jedem Balzruf bläht er den Luftsack in seinem Hals auf, und preßt dann ruckartig die Luft durch die Kehle, indem er den Schnabel nach oben wirft. Zwei, drei Schritte auf der Stelle ergeben dann nach jedem Ruf eine Drehung um etwa 60 Grad, so daß schließlich die Umgebung nach allen Seiten beschallt wird.
Ok, so weit hätten wir ihn schon mal. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wie er auf das erste Auslösegeräusch reagieren wird. Die Kamera löst aus. Keine Reaktion. Seine Erregung macht ihn praktisch blind. Alles ist möglich: Wechsel des Objektivs, Tausch der Kamera, Einlegen des Konverters…
Immer heftiger wird die Vorführung der Trappe. Erregt bläht der Hahn seinen Hals, mit einem Mal plustert er das Rücken- und Brustgefieder auf. Das Weiß der Unterseite dient der Fernwirkung des balzenden Hahns. Schließlich springt er in die Höhe, um auf derselben Stelle wieder zu landen.
Auch andere schöne Erinnerungen lassen mich gerne an die Steppen der Estremadura, denken. So z.B. der vergebliche Zwergtrappenansitz. Er wurde durch das unmotivierte und völlig unerwartete Auftauchen eines Schlangenadlers (Circaetus gallicus), entschädigt wurde, der sich einen etwa 50 Meter entfernten Schieferfelsen als Ruheplatz ausgesucht hatte. Und das in einer schier endlosen Landschaft mit unzähligen alternativen Warten.
Wer in die Estremadura fahren will, muß aus Mitteleuropa einen langen Weg mit dem Auto auf sich nehmen. Flugplätze sind auch recht weit, sodaß auch der Mietwagen keine wirklich überzeugende Alternative ist. Als Unterkunft habe ich immer die Dörfer vorgezogen. Spanische Städte sind laut und lärmend. Gerne wird noch bis früh am Morgen der Laubbläser und die Kehrmaschine bedient. Wer um 3:00 Uhr nachts zur Trappenbalz aufsteht, der braucht seinen Schlaf. Der ist auf dem Dorf eher zu finden. Dort findet er aber in der Estremadura nur eine geringe touristische Infrastruktur.