Für den ornithologisch Interessierten sind Zwergschnepfen (Lymnocryptes minimus) sicher eine der Vogelarten der Westpaläarktis, die jeder noch auf seiner Liste hat. Viele Vogelbeobachter haben Zwergschnepfen noch gar nicht gesehen. Einige Beobachtungen, die mit Fotos belegt sind, stammen dann von Helgoland, wo doch praktisch alljährlich am Hafen – in der Nähe des sogenannten Kringels – die Zwergschnepfen im Oktober beobachtet werden können. Diese Zwergschnepfen sind dann von der Reise über die See so erschöpft, daß sie sich ausgiebig betrachten lassen. Das richtige Rasthabitat für die Zwergschnepfe stellen die Wellenbrecher am Kringel jedoch nicht dar. Wer Zwergschnepfen daher in der Rast- oder Überwinterungsumgebung beobachten möchte, ist darauf angewiesen, die richtigen Stellen in der Landschaft zu finden.
Zuerst sollte man sich darüber klar sein, daß die Zwergschnepfe ein Vogel des Tieflandes ist. Die meisten Vögel werden auf Gebieten unter 100 m (NN) Höhe berichtet. Meldungen von Hügelländern auf etwa 400 m NN kommen aber auch vor und sind vielleicht in der Mitte Deutschlands sogar auf Grund des zur Verfügung stehenden Habitats sogar häufiger als in der Ebene. Obwohl gerne angenommen wird, daß die Zwergschnepfen die Nahrungsgebiete mit den Bekassinen (Gallinago gallinago) teilen, zeigt die Lebensraum-Analyse doch bemerkenswerte Unterschiede. Während die wichtigsten Lebensräume für Zwergschnepfen mit naturnahen Grünland oder Sumpf und deutlich weniger mit Ackerland angegeben werden (s. dazu einen Artikel über Jack Snipes in Britain) sehen die Prozentsätze für Bekassinen genau anders herum aus. Im Einzelnen waren Zwergschnepfen in folgender Reihenfolge im naturnahen Grünland oder Sumpf zu finden: in wasserbestandener Weide in verschilften Sumpf, in offenen wasserführenden Wiesen und Weiden und auf Salzwiesen. Auf Ackerland gibt es für Zwergschnepfen viele weniger Nachweise. Etliche davon stammen von überfluteten Stoppelfeldern. Mit diesen Informationen im Hinterkopf durfte ich im Februar 2014 Ornithologen begleiten, die Zwergschnepfen suchen, fangen und beringen. Nun im Oktober des gleichen Jahres konnte ich entsprechende Berichte über Zwergschnepfen auf dem Herbstzug auswerten, die die Gegend um das Odertal bei Angermünde betrafen. Auch hier machte die Kombination spezifischer Zwergschnepfen-Eigenschaften – ihre kryptische Färbung, ihre Zurückhaltung beim Auffliegen, das insgesamt ruhige und stille Verhalten – die Nachsuche nicht einfach. Trotzdem konnte ich in einem Feuchtgebiet mit einer Ausdehnung von vielleicht mal gerade 1 ha insgesamt mindestens 7 Zwergschnepfen feststellen. Im Folgenden werde ich kurz beschreiben, in welchem Lebensraum die Zwergschnepfen schließlich gefunden wurden. Am Abend meiner Anreise wollte ich nur kurz das Gebiet kennenlernen. Ich zog mir die hohen Gummistiefel an lief über eine feuchte, knöchelhoch mit Gras bewachsene Wiese bis ich den Rand des eigentlichen sehr seichten Tümpels erreichte. Da ich alleine unterwegs war, bin ich langsam zu Fuß in eine Art “Zick-Zack-Lauf” im Tümpel gelaufen. In Gesellschaft eines weiteren Vogelbeobachters kann man auch einen weiteren Bereich durchkämmen indem man mit einigen Metern Abstand nebeneinander her geht. Geduldig zu warten, bis der Vogel die verlässt Deckung ist bei der Zwergschnepfe keine Option. Ich wußte, daß Zwergschnepfen in ihrem Lebensraum zu Recht auf ihre kryptische Farbe setzen. Es ist leidlich normal, eine Zwergschnepfe direkt neben einem Pfad zu finden, während die Bekassine schon beim ersten Anblick eines Besuchers auffliegt. Zwergschnepfen bevorzugen Deckung, die nicht zu dicht und nicht zu offen sein darf. Anfangs konnte ich keine Zwergschnepfen entdecken. Eine Bekassine flog meckern auf und verschwand in weitem Flug. Eine Wasserralle (Rallus aquaticus) lief vorsichtig am Schilfrand entlang. Im Vergleich zu den Erfahrungen, die ich im mittleren Deutschland, in Hessen, sammeln konnte, erschien mir die Deckung insgesamt als recht dicht. Dann flog doch eine Zwergschnepfe stumm und keine 2 Meter vor meinen Füssen auf. Kurz in der Luft ging sie auch schon wieder nieder und verschwand in einer Senke, die im hinteren Bereich des gleichen Feuchtgebiets war. Ein paar Schritte weiter, wurde die nächste Zwergschnepfe zum Auffliegen veranlaßt. Bei der genauen Untersuchung der Rastplätze fand ich dann doch ein bemerkenswert offenes Mikrohabitat, das sich von Stellen, die ich vorher abgesucht hatte, grundlegend genug zu unterscheiden schien, daß Zwergschnepfen nur hier und nicht woanders rasteten. Diese Stellen war durch eine Randlage zu höherer Vegetation (Inseln mit Rohrkolben) geprägt. Die eigentlichen Rastplätze wiesen einige Kotspritzer und manchmal auch kleine Federn auf. Sie standen seicht unter Wasser und waren von niedrigeren Sumpfpflanzen wie der Krebsschere umstanden. Dazu war auch schon mal Schilf und kleine Grasbüscheln vorhanden. Eine Bevorzugung von Stellen mit schlecht entwickelter Vegetation auf einem schlammigen Boden war unverkennbar. Frisch von Wildschweinen umgebrochene Schlammflächen wurden offensichtlich gemieden. Am Abend des ersten Tages konnte ich insgesamt mindestens 5 Zwergschnepfen identifizieren; am nächsten – sehr nebligen Morgen – konnte ich noch in der Dämmerung 7 Zwergschnepfen bestimmen. Es sollte angemerkt werden, daß Zwergschnepfen normalerweise einzeln auffliegen. Bei Störungen fliegen sie einzeln auf, selbst wenn nahebei weitere Individuen rasten. Die meisten anderen Watvögel fliegen dagegen in Gruppen auf. Zwergschnepfen betrachten das Auffliegen eines Nachbarn offensichtlich nicht als ein Signal unmittelbarer Gefahr; es läßt sie aber aufmerksam werden. Erfahrene Beobachter berichten davon, daß auf diese Art gewarnte Schnepfen einen Rückzug unter Grasbüscheln antreten. Manchmal kann man Kotspritzer in der Nähe von Grasbüscheln finden. Wenn man Glück hat, sieht man den Vogel darunter sitzen. Ganz selten hat man Glück und kann – wohl vor allem im Herbste wenn auch viele unerfahrene Jungvögel dabei sind – eine Zwergschnepfe „eingefroren“ in einer horizontalen Position beobachten. Die Streifen auf dem Rückens und die langgezogene Kopfform lassen den Eindruck langer bräunlicher Linien entstehen. Die Ähnlichkeit mit trockenem Gras ist frappierend. Um die wachsende Nachfrage nach Top- Aufnahmen der selteneren Arten der Paläarktis zu bewältigen, ist Bird-lens.com bestrebt, das Spektrum der Bilder von Vögeln der Westpaläarktis weiter auszubauen. Trips zu abgelegenen Orten, um Bilder von seltenen Vögeln der Westpaläarktis zu machen, waren sehr erfolgreich. Ebenso bringen Ausflüge in die nähere Umgebung immer wieder schöne Eindrücke und manch seltene Beobachtung, die – wenn es gut läuft – auch mit Fotos gekrönt werden kann. Dieses Belegbild der Zwergschnepfe im Morgennebel ist nur ein erster Eindruck, was Sie in der Galerie im “Picture-Shop” sehr bald finden können. Hinterlassen Sie doch einfach eine Nachricht, wenn bird-lens.com mit einem Bild dienen kann.