Scherenschnäbel bei der Jagd

SchwarzmantelscherenschnabelWegen ihrer eigenartigen Jagdweise werden Scherenschnäbel auf Englisch Skimmer genannt. Der „Schöpfer” durchpflügt mit seinem Unterschnabel das Wasser, während er im Tiefflug darüber hinwegstreicht. Findet er so einen Fisch oder einen Krebs, klappt der Schnabel blitzschnell zu.

Vor vielen Jahren hat mich am Madre de Dios, einem Zuschluß des Amazonas, eine Vogelart fasziniert, die mich seither nicht wieder los ließ. In der Stille der Abenddämmerung flogen über dem weiten Flußlauf in kleinen Gruppen Vögel, die sich merkwürdig dicht über dem Wasser hielten. Ihre weit ausladenden Schwingen berührten bei jedem Schlag fast die Wasseroberfläche. Ihr Flug war geradlinig, nicht zu schnell und ihr Flügelschlag stetig, elegant und hatte etwas von einer aufreizend phlegmatischen Langsamkeit. Es waren Scherenschnäbel, genauer Schwarzmantel- Scherenschnäbel (Rynchops nigra), wie ich bald erkennen konnte. Ihre ins Wasser getauchten Unterschnäbel zogen Furchen ins vom Abendrot gefärbte Wasser. Das wollte ich einmal fotografieren.

Als ich jetzt in im Chincoteague National Wildlife Refuge, Virginia in den östlichen USA Scherenschnäbel über dem Wasser fliegen sah, fiel mir die damalige Szenerie sofort wieder ein. Ich mußte herausfinden, ob diese Vögel nur vorbeizogen oder mehrere Tage vor Ort blieben. Ich hatte Glück, am nächsten Tag fand ich sie auf einer Lagune, die an einem Damm zu einem stark touristisch frequentierten Strandabschnitt zusammen mit Seeschwalben. Dort standen sie auf ihren kurzen Beinen gelangweilt vor sich hindösend im Sand. Ihren merkwürdig klobigen Schnabel hatten sie dabei gegen den Wind gestreckt, wie es die meisten Seevögel tun.

Ich fragte mich, wo sie am Abend jagen werden. Dann: Kann man sie dabei fotografieren? Womöglich schön im schrägen Licht der tiefstehenden Sonne? Den fliegenden Vogel, die Schwingen ausgestreckt oder nach oben haltend, Unterschnabel im Wasser und eine glitzernde Spur im leicht aufspritzenden Wasser hinter sich herziehend, so stand mir das Bild vor Augen. Daß ich noch sein Spiegelbild dazu bekäme, wagte ich nicht einmal zu träumen.

Doch zunächst hieß es erst einmal beobachten, eine günstige Stelle und die richtige Zeit finden und dann geduldig warten. Es stellte sich heraus, daß die beste Stelle tatsächlich direkt an dem Damm zum Strand im Chincoteague Reservat war. Die Deichstraßenbefestigung bestand aus dicken Felsbrocken, die Höhe von der Straßenkante bis zur Wasseroberfläche betrug nur einen halben Meter. Ein (etwas unbequemer) Sitzplatz auf einem der Steine gerade über der Wasserfläche war schnell gefunden. Ich suchte eine Stelle aus, in der das Wasser schon tief genug für die Beutejagd war, die Lagune aber noch nicht so breit war. Damit waren die Vögel gezwungen in einem kanalähnlichen Lagunenabschnitt zu fliegen, der von einer Sandbank und von dem Straßendeich begrenzt wurde.

Ich lernte schnell, schon in großer Entfernung das Flugbild des Scherenschnabels von dem anderer Wasservögel zu unterscheiden. Wenn einer der Vögel in der Luft war, war für mich höchste Alarmbereitschaft angesagt: Ich beobachtete seinen Flugweg und hoffte, daß er in meiner Nähe vorbeifliegen möge. Tatsächlich kam auch einer. Diesmal keine Linkskurve, immer weiter weg von mir, nein  er bog rechts ab und verschwand zunächst entlang dem Ufer.

Aber er kehrte zurück, was ich insgeheim gehofft hatte. Alles stand bereit: Meine Kamera, mit dem 400 mm DO-Objektiv bestückt, war auf meinem Gitzo-Stativ montiert. Der Vogel flog parallel zum Ufer: zu nah!  Das war zu schnell für die Verfolgung im Sucher – und schon war er vorbei.

Doch dann kam der selbe Vogel zurück. Diesmal war ich entsprechend gewappnet und wartete schon gespannt auf die richtige Fluglinie. Er flog weiter weg vom Ufer und startete den Anflug auch früher. Das müßte doch geklappt haben! Das Licht war gut, der Schnabel aufgesperrt und im Wasser, die Wasserspur gut sichtbar und der Vorbeiflug im richtigen Abstand. Ich blieb eine Weile. Und umso später es wurde, desto häufiger verließen die Scherenschnäbel ihre Rastplätze und fingen sich ihr „Abendbrot“.

Es war jedes mal faszinierend zu beobachten, wie sie im geradlinigen Flug scheinbar zufällig ihre Beute jagen. Stießen sie mit dem langen Unterschnabel an einen kleinen Fisch oder an ein Krebschen, schnappte der kürzere Oberschnabel zu und hielt die Beute fest. Dabei ging der Kopf blitzartig nach hinten weg unter den Körper, und der Fang wurde im Flug verschluckt.

Das Fotografieren der Scherenschnäbel habe ich sehr genossen. Es war erholsam, interessant, beruhigend beim Warten und doch angefüllt mit Aktivität und aufmerksamen Beobachten.

Der Schwarzmantel-Scherenschnabel (Rynchops niger) bewohnt die südlichen Küsten in Nordamerika. Er lebt auch im tropischen bis subtropischen Süd-Amerika. Scherenschnäbel gehen in kleinen Gruppen auf Beutefang. Dabei werden Seen, Lagunen oder die Ufer breiterer Flüsse genutzt.

Zwei weitere Arten leben in Afrika (Braunmantel-Scherenschnabel bzw. Rynchops flavirostris) und in Indien (Halsband-Scherenschnabel bzw. Rynchops albicollis). Mit ihrer eigentümlichen Jagdmethode können Scherenschnäbel auch in trübem Wasser und bei Nacht Beute fangen.

 

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