Atlantischer Frühling auf Gran Canaria: Impressionen von der Frühjahrs-Studienreise 2015

LöfflerVom 22. April bis 4. Mai 2015 waren ornithologisch interessierte und naturbegeisterte Förderer und Freunde des Museum Koenig auf den Spuren atlantischer Artenvielfalt unterwegs. Ziel dieser Gemeinschaftsexkursion der AKG und des Brehm Fonds für Internationalen Vogelschutz war Gran Canaria, eine sonnenverwöhnte Insel der Kanaren. Insgesamt neun Personen hatten sich angemeldet, um unter der Leitung des bewährten Reiseführers und profunden Kenners der Kanaren, Dr. André Weller, bei traumhaftem Wetter eine Vielzahl von Lebensräumen mit zahlreichen seltenen bzw. endemischen Tier- und Pflanzenarten kennen zu lernen. Die Insel umfasst trocken-heiße Lebensräume wie die im Süden gelegenen Dünen von Playa del Ingles sowie die südlichen und zentralen Barrancos, aber auch feuchtere Lebensräume wie die Lagune von Maspalomas, die spektakulären Küstenfelsen von Anden Verde bis hin zu den Lorbeerwäldern im Norden. Auf einer Gesamtfläche von nur 1560 km2 bietet die annähernd kreisförmige Insel nicht nur Sonnenanbetern aus dem kältegeplagten, häufig verregneten Mitteleuropa Erholung und Entspannung, sondern wird ebenso gern von den zahlreichen Natur- und Wanderfreunden unter den jährlich immerhin ca. 4 Mio. Touristen frequentiert. Angesichts von nicht weniger als 14 Mikroklimazonen und einer Gesamthöhe von bis zu 1.950 m üNN (Pico Nieves) wird die Insel nicht zu Unrecht auch als Miniaturkontinent bezeichnet.

Bereits der relativ trockene Süden hat für naturkundlich interessierte Besucher seine Reize. Die rund 8 km langen und bis zu 5 km Kilometer breiten Dünen von Maspalomas, unserem Reisedomizil, hielten zahlreiche faunistische Entdeckungen bereit. Der küstennahe, äußerst xerotherme Lebensraum mit ausgeprägter Trockenstrauchvegetation steht bereits unter afrikanischem Einfluss und enthält subsaharische Elemente, die entweder auf den Kanaren oder sogar weltweit gesehen nur hier vorkommen, darunter der Kameltritt (Neurada procumbens), eine nordafrikanische, durch Kamele verschleppte Pflanze und zahlreiche sandliebende Insekten. Letztere werden gern von Singvögeln wie Kanaren-Zilpzalp (Phylloscopus canariensis) oder Kanaren-Raubwürger (Lanius meridonalis koenigi) genommen. Letztere Unterart ist nach dem Gründer des Museum Koenig, Alexander Koenig, benannt, der als bedeutender Ornithologe und Sammler seiner Zeit auch die Kanaren bereiste und u. a. die dort endemische Form des Turmfalken (Falco tinnunculus canariensis) beschrieben hat. Auch Grasmücken (Sylviidae) bevölkern die endlos erscheinenden Strauchdickichte, vor allem die Samtkopfgrasmücke (Sylvia melanocephala), während sich die Brillengrasmücke (S. conspicillata) weniger häufig blicken lässt. Am Rande der Dünen und auf benachbarten Golfplätzen findet schließlich der in Mitteleuropa vom Aussterben bedrohte Wiedehopf (Upupa epops) ein Refugium.

Den Hauptanziehungspunkt für gefiederte Gäste an der touristisch geprägten Südspitze der Insel bildet jedoch die benachbarte Lagune Charco de Maspalomas, die meistens vom Meer durch den breiten Sandstrand abgetrennt ist. Von der ursprünglichen Ausdehnung des einst größten natürlichen Feuchtgebietes von ganz Makaronesien, das bereits so berühmte Ornithologen wie David Bannerman in seinen Bann zog, ist nicht mehr viel als kleiner Rest übrig geblieben; seit den 1960er Jahren hat der beginnende Tourismus, insbesondere der bis in die Gegenwart andauernde Bau von Ferienanlagen, Stück für Stück seinen Platz eingenommen. Neben der unwiederbringlichen Vernichtung einzigartiger Küsten- und Rasthabitate hatte die großflächige Trockenlegung weiter Areale auch, zusammen mit Klimaveränderungen, dramatische Langzeitfolgen für den Grundwasserspiegel. Vor wenigen Jahren drohte die Lagune auszutrocknen und wurde künstlich wieder aufgefüllt, ist jedoch nach regenarmen Wintern (wie in diesem Jahr) erneut auf dem Rückzug. Immerhin gilt sie heute als Vorzeigeprojekt lokaler Naturschutzbemühungen (z. B. Erhaltung als Vogelzug-Rasthabitat; Wiederansiedlung seltener Dünenpflanzen), und so wurde eine Aussichtsplattform mit mehrsprachigen Schautaufeln zur Information der täglich vorbeiströmenden Touristenmassen direkt am Zugangsweg zum Strandbereich installiert. Mit etwas Glück lassen sich von hier auf bequeme Weise zahlreiche, auf den Kanaren sonst nicht alltägliche Vertreter der Avifauna zu Gesicht bzw. vor die „Linse“ bekommen.

Bereits im Schilfgürtel der Lagune verkünden ungewöhnliche, zwitschernde Rufe die Anwesenheit einer ursprünglich afrikanischen Art, des Wellenastrilds (Estrilda astrild). Der kleine, grau bis rötlich gefärbte Prachtfink mit der namensgebenden wellenförmigen Gefiederzeichnung wurde auf Gran Canaria ursprünglich im vergangenen Jahrhundert ausgesetzt und hat sich seitdem in nicht zu trockenen Lebensräumen der Südküste in den Touristenzentren von Maspalomas und Playa del Ingles etabliert. Freilandvorkommen des meist in Schwärmen auftretenden Wellenastrilds gibt es in Europa ansonsten nur auf Madeira, in Portugal und in Spanien.

Zu den ständig präsenten Wasservögeln zählen neben dem Teichhuhn (Gallinula chloropus) auch die rastlos umher laufenden Regenpfeifer, von denen sich See- (Charadrius alexandrinus), Sand- (C. hiaticula) und Flussregenpfeifer (C. dubius) auch bei unseren Besuchen beobachten ließen. Zu Zugzeiten wie im April-Mai kommen weitere Limikolen hinzu, von denen u. a. Regenbrachvogel (Numenius phaeopus), Stelzenläufer (Himantopus himantopus), Grünschenkel (Tringa nebularia) und Alpenstrandläufer (Calidris alpina) den Weg auf die Exkursionsliste fanden. An Greifvögeln zeigt sich am ehesten noch der Fischadler (Pandion haliaetus) als Durchzügler, wenngleich die Art auf den Kanaren akut vom Aussterben bedroht ist und höchsten noch 1–2 Brutpaare auf Gran Canaria (insgesamt 7–8) existieren. Zu den absoluten Raritäten in der Lagune – und der Insel überhaupt –gehören nur ausnahmsweise auftretende Irrgäste wie Rostgans (Tadorna ferruginea, mit Sichtung während der Exkursion), Rosaflamingo (Phoenicopterus ruber) und der afroasiatische Küstenreiher (Egretta gularis; beide vom Autoren früher beobachtet), der sich mit seinen häufigeren Verwandten und Nahrungskonkurrenten wie Grau- (Ardea cinerea), Silber- (Egretta alba) und Seidenreiher (E. garzetta) um die besten Fischgründe streitet. Im Winterhalbjahr lockt dieses immer noch größte erhaltene Feuchtgebiet der Kanaren gelegentlich sogar nordamerikanische Gastvögel wie den Prärie-Goldregenpfeifer (Pluvialis dominica) und die Kanada-Bergente (Aythya affinis) an.

Einige Kilometer im Hinterland der Südostküste Gran Canarias findet sich der sehr begrenzte, durch landwirtschaftliche Nutzung, Straßen- und Siedlungsbau immer stärker zerschnittene Lebensraum der Steinsteppen bzw. küstennahen Halbwüsten. Nur wenige trockenresistente Pflanzen können auf den meist windgefegten Brachflächen überhaupt existieren, und Mitte Mai ist kaum noch etwas Grünes oder gar Blühendes zu entdecken. Dennoch haben sich zwei interessante Vogelarten an dieses karge Umfeld angepasst. Der Ostkanaren-Triel (Burhinus oedicnemus insularum), ein bestandsbedrohter Endemit der Ostinseln von Gran Canaria bis Lanzarote, ist nur schwer in der furchigen Landschaft zu entdecken und hält sich meist in der Deckung der wenigen Dornsträucher (Launaea sp.) auf. Nur mit Hilfe einer Klangattrappe (Playback arteigener Rufe) gelang es uns, ihn aus seinem Versteck zu locken. Etwas eher zu sehen sind Triele im Spätsommer, wenn sich Familien zu durchaus individuenreichen Schwärmen zusammenschließen. In gleichen Habitaten wie der Triel siedelt sich die Stummellerche (Calandrella rufescens) an. Im Frühjahr vollführen die Männchen, vergleichbar der heimischen Feldlerche (Alauda arvensis), einen akustisch auffälligen, minutenlangen Singflug.

Die Kiefernwälder (pinares) Gran Canarias repräsentieren aus biogeografischer Sicht wichtige Zentren der Biodiversität (z. B. Inagua, Pilancones, Tamadaba). Im Laufe der jüngeren Erdgeschichte haben einzelne Waldgebiete unter Isolationsbedingungen eine Reihe von eigenen Pflanzen- und Tierformen hervor gebracht. Sie sind Heimat waldbewohnender Vogelarten wie dem ausschließlich auf Teneriffa und Gran Canaria anzutreffendem Kanaren-Buntspecht (Dendroscopus major thanneri). Hier ist auch eine eigene Inselform der Blaumeisen beheimatet, über deren Status bzw. Taxonomie die Expertenmeinungen jedoch weit auseinander gehen. Einige Autoren stellen sie, hauptsächlich aufgrund molekulargenetischer Ähnlichkeiten und biogeografischer Anbindung zu nordafrikanischen Vertretern, innerhalb der Gattung Cyanistes als Inselform zur Kanarenmeise (C. teneriffae ssp. hedwigii), andere belassen sie in der traditionellen Klassifikation der eurasischen Blaumeisen (Parus caeruleus ssp. teneriffae bzw. hedwigii). Unseren Erfahrungen zu Folge erscheint die erstere Interpretation plausibler, da die kanarischen Meisen nicht nur andere Färbungsmuster aufweisen, sondern sich auch erkennbar in den bioakustischen Merkmalen (Gesang, Rufe) von der heimischen Blaumeise (Parus caeruleus) unterscheiden.

Im Gegensatz zu den häufigeren Waldvögeln sind andere Vertreter der Avifauna unter den heutigen Bedingungen stark bestandsgefährdet und haben auf Roten Liste bedrohter Arten der Kanaren oberste Priorität. Als Flaggschiffart ist dabei der Gran Canaria-Teidefink (Fringilla teydea polatzekii) zu nennen, der nur noch in wenigen Schutzgebieten überlebt hat und einen aktuellen Bestand nur noch etwa 200 Individuen aufweisen dürfte. Von der Schwesterform auf Teneriffa (ssp. teydea) durch eine grauere Grundfärbung auszeichnet. Einen empfindlichen Rückschlag für das Ökosystem Wald und zahlreiche seiner Bewohner bedeuten die fast alljährlichen, meist menschlich verursachten Wandbrände; so hat beispielweise die verheerende Feuerkatastrophe von 2007 den Teidefinken an den Rand des Aussterbens gebracht. Hier bedarf es weitreichender Managementmaßnahmen, um diese und andere Arten der Nachwelt auch künftig zu erhalten. Leider war es den Teilnehmern trotz mehrmaliger Suche nicht vergönnt, während der Exkursionen ein Exemplar dieser Form aufzuspüren.

Ein abschließender Höhepunkt war eine Walbeobachtungstour vom Hafen des pittoresken, im Südwesten gelegenen Puerto Mogan aus. In Massen konnten wir dabei den Gelbschnabelsturmtaucher (Calonectris diomedea) feststellen, der große Schwärme bilden kann und elegant über den Wellen “surfend“ nach Nahrung sucht. Sogar eine arktische Große Raubmöwe (Stercorarius skua) ließ sich kurz beobachten, dazu ein kleiner, dunkler Sturmtaucher, der allerdings nicht identifiziert werden konnte. Häufig folgen all diese Hochseevögel Walen und zeigen deren Anwesenheit an. Die Kanaren gelten weltweit als Ort mit der höchsten Diversität an Meeressäugetieren; bis zu 25 Walarten können in den Gewässern rund um die beliebten Ferieninseln beobachtet werden. Nach längerer Suche erfreuten wir uns an den rasanten Wasserspielen einiger Großer Tümmler.

Insgesamt wurde die Studienreise von allen Teilnehmern als eine ausgezeichnete Gelegenheit empfunden, hochspezialisierte atlantische Arten und deren Lebensräume aus nächster Nähe kennen zu lernen. Auch das enorme Gefährdungspotential für all diese Naturschönheiten wurde uns drastisch vor Augen geführt, insbesondere anthropogene Ursachen wie Urbanisierung, Straßenbau, Tourismusentwicklung, Beweidung, Abholzung, Waldbrände sowie die Problematik des Wasserhaushaltes; gerade das relativ trockene Frühjahr 2015 führte uns den Wassernotstand drastisch vor Augen. In diesem Zusammenhang gilt es auch für die Besucher dieser und anderer Inseln des kanarischen Archipels, verantwortungsbewusst und schonend mit den natürlichen Ressourcen umzugehen, die Naturschutzgebiete zu respektieren und Müll zu vermeiden, damit sich auch künftige Generationen noch an der einzigartigen Biodiversität der Kanaren erfreuen können.

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