Keoladeo Ghana Nationalpark: Vogelparadies in Indien

DajaldrosselLange verweilt die dunkelblau-weiße Dajaldrossel (Copsychus saularis) auf ihrem Ast in der Morgensonne. Ausgiebig kann ich Porträtfotos schießen.  Winter, Sommer und Monsun, so teilen die Einwohner Bharatpurs das Jahr ein. Im Juli und August, nach den trockenen Zeiten der Vormonate, erweckt der Monsun den Kreislauf des Lebens im Park immer wieder aufs Neue. In dieser Zeit sind Lufttemperatur und vor allem die Luftfeuchtigkeit allerdings so hoch, dass die meisten Menschen den Keoladeo Ghana Nationalpark meiden. Für die Vögel aber bedeutet der erste Regen den Startschuss für die Brutsaison. Sie balzen, paaren sich, bauen Nester, brüten die Eier aus und füttern die Nachkommenschaft.

Die ausländischen gefiederten Besucher treffen in der Regel nicht vor Ende Oktober im indischen Vogelparadies ein. Zu diesem Zeitpunkt kommen auch die ersten Zugvögel in ihr indisches Überwinterungsgebiet und gesellen sich zur ebenfalls sehr reichhaltigen einheimischen Avifauna. Im November und Dezember fallen Enten und Gänse in den Park ein, Die Luft ist erfüllt vom Schnattern der Streifengänse (Anser indicus), Schnatterenten (Anas strepera), Pfeifenten (Anas penelope), Löffelenten (Anas clypeata), Spießenten (Anas acuta) und Knäkenten (Anas querquedula). Sind dann die Greife wie Rohrweihe (Circus aeruginosus), Steppenweihe (Circus macrourus), Schikra (Accipiter badius), Adlerbussard (Buteo rufinus), Schelladler (Aquila clanga), Steppenadler (Aquila nipalensis), Kaiseradler (Aquila heliaca) und Zwergadler (Hieraaetus pennatus) auch angekommen, kommt der Naturfotograf auch mit Actionaufnahmen voll auf seine Kosten. Abwechselnd stürzen sich die Greife auf die Enten oder die Teichhühner (Gallinula chloropus). Manchmal geht der Stoß daneben. Gar nicht so selten endet dieses Spiel aber mit einer toten Ente in den Fängen eines Adlers. Die Jagdsaison läuft spätestens im Februar aus, wenn auch die letzten Überwinterer den Keoladeo Nationalpark wieder verlassen.

Die Art, wie der Keoladeo Nationalpark für das Publikum zugänglich gemacht wurde, kommt denjenigen Naturfotografen entgegen, die etwas Zeit mitbringen und flexibel in der Weise ihrer Fortbewegung sind. Zu Fuß, auf dem Fahrrad, in der Rikscha und manchmal auch im Boot. Automobile sind erfreulicherweise nur auf einem kurzen Abschnitt erlaubt.

Eine Bootsfahrt in Keoladeo Ghana Park kann sehr lohnend sein, auch wenn der befahrbare Bereich nur einen kleinen Teil des Parks abdeckt. Allerdings hängt der fotografische Erfolg sehr von den aktuellen Gegebenheiten am jeweiligen Ort ab, zum Beispiel vom Wasserstand. Die Bedingungen können extrem gut, aber auch ein echter Fehlschlag sein. Für Besucher ist es empfehlenswert, wenigstens an einigen Tagen am frühen Morgen oder am späten Nachmittag mit dem Boot unterwegs zu sein. Anhingas oder AltweIt-Schlangenhalsvögeln (Anhinga melanogaster) und Kormoranen (Phalacrocorax carbo), Rotlappenkiebitzen (Vanellus indicus) und sowie Paddyreihern (Ardeola grayi) und sind bei einer Bootsfahrt praktisch garantiert. Einmal hatte ich mehr als 40 bunt-schillernde Purpurhühner (Porphyrio porphyria) in meinem Sucherbild. Was für ein phantastischer Anblick. Das Boot ist die beste Möglichkeit ansonsten unzugängliche Ecken der Sumpflandschaft zu erkunden.

Eine Rikschafahrt bietet sich besonders in den ersten Tagen eines Aufenthaltes im Keoladeo Ghana an. Rikschas dürfen nur über die breiten Wege fahren, welche die vielen Feuchtgebiete auf Dämmen verbinden. Nach der ersten Fahrt mit einer Rikscha stand für mich fest, daß diese Art der Fortbewegung für fotografische Zwecke geeigneter war, als mit dem Boot zu fahren. Obwohl ich noch eine weitere Bootsfahrt unternahm, blieb ich die längste Zeit während unseres Aufenthalts auf den Wegen. Während ein ortskundiger indischer Führer in die Pedale trat und dabei Ausschau nach Vögeln hielt, suchte ich ansprechende Fotomotive. Ein weiterer Vorteil dieser Art der Fortbewegung lag darin, daß ich nicht meine gesamte Ausrüstung auf den Schultern tragen mußte. Stattdessen legte ich meine Ausrüstung auf den Sitz und hatte so das passende Gerät für jede Situation schnell zur Hand. Ich sah und fotografierte ausgiebig die Braunlieste (Halcyon smyrnensis). Grüntauben (Treran spec.) wie z.B. die Rotschultertaube (Treron phoenicoptera) belohnten für die nicht immer angenehme Fahrt in der Rikscha. Sie ließen mich auf viele weitere Motive bei der nächsten Fahrt mit der Rikscha hoffen. Allerdings ist die Reichweite der Rikschas genau wie bei den Booten beschränkt: Die Dreiräder dürfen grundsätzlich nur auf der schwarz-markierten Straße fahren, die den Park in Nord-Süd-Richtung durchquert.

 

Für den geduldigen und länger vor Ort verweilenden Fotografen ist es vielleicht besser, es mit dem Fahrrad oder – tatsächlich – zu Fuß zu versuchen. Denn nur so kann man das umfangreiche Wegenetz, das den Park erschließt, tatsächlich nutzen. Nur auf diese Weise gelangt man in Gebiete, die mit dem Boot oder der Rikscha nicht zu erreichen sind. Ich persönlich habe mich für eine kombinierte Art aus Fußmarsch und Rad fahren entschieden. Dieselben Plätze im Keoladeo Ghana Nationalpark zu den gleichen Jahreszeiten immer völlig unterschiedlich aussehen können, fahre ich am Anfang meines Aufenthalts mit einem Fahrrad oder mit der Rikscha die bekannten und leicht zugänglichen Stellen ab und lasse mich für die folgenden Tage inspirieren.

Eine Fotoreise in den Keoladeo Ghana Nationalpark sollte trotz der guten Infrastruktur sorgfältig vorbereitet werden. So ist eine größtmögliche Ausbeute in diesem Paradies der Vogelfotografie zu erzielen. Wie in anderen Parks auch, beherbergt der Keoladeo Nationalpark im Sommer andere Vögel als im Winter.

Ich persönlich ziehe die kühlere Zeit ab Mitte Oktober vor, weil sie trocken ist und daher bessere Bedingungen vorherrschen. Außerdem hat man eine schöne Alternative zum naßkalten Wetter in Deutschland. Um die überwältigende Ansammlung unterschiedlichster Vogelarten zu beobachten und zu fotografieren, ist ein Besuch des Nationalparks nur bis Mitte Dezember – spätestens vor Weihnachten – wirklich empfehlenswert, denn am Ende des Jahres beginnt in Indien die Ferienzeit. Gewaltige Massen indischer Urlauber strömen dann in den Nationalpark und machen ein ungestörtes Fotografieren praktisch unmöglich.

Gegen Ende Februar steigen die Temperaturen rasch an, und die Luftfeuchtigkeit nimmt ab. Der gesamte Park trocknet zusehends aus. Die meisten Zugvögel haben zu dieser Zeit den Park schon verlassen. Streifengänse, verschiedene Dommel-Arten von der auch bei uns heimischen Rohrdommel (Botaurus stellaris) über die  Zwergdommel (Ixobrychus minutus) bis zur  Zimtdommel (Ixobrychus cinnamomeus) und die Schwarzdommel (Ixobrychus flavicollis) oder auch die ansässigen Saruskranichs (Grus antigone) sind dann gut zu fotografieren.

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