Die Steppe scheint sich bis zum Horizont zu erstrecken. Gras in gedämpftem Grün, die Luft vibriert vom Gesang der Feldlerchen (Alauda arvensis) und Grillen. Aus der lückigen Vegetation leuchten Blumen in satten Farben. Doch man befindet sich weder in der Provence noch in der Toskana sondern am Bollenberg, in der Vorbergzone der Vogesen am Rand der südlichen Oberrheinebene. In der Nachbarschaft der Stadt Rouffach und der Dörfer Westhalten und Osenbach, etwa 25 km südlich von Colmar, gibt es noch Reste einer Kulturlandschaft, die anderswo schon längst der Flurbereinigung zum Opfer gefallen ist. Das Gebiet weist ein Mosaik aus Weinbergen, Flaumeichenwäldern, Trockenrasen, niedrigen Gebüsch, Lesesteinhaufen, Hohlwegen, Löß-Steilwänden und Trockenmauern aif. Hier leben viele Tiere und Pflanzen, die vor vielen 1.000 Jahren aus dem Mittelmeerraum an den Oberrhein gewandert sind. Dazu gehören die meisten Orchideen, aber auch die Smaragdeidechse (Lacerta bilineata) und vielleicht der Bienenfresser (Merops apiaster).
Der Bienenfresser brütet seit spätestens 1990 wieder alljährlich in der Oberrheinebene, nicht nur am Kaiserstuhl im südlichen Baden-Württemberg. Die Bienenfresser brüteten verteilt über weite Bereiche des Kaiserstuhls. Nur vereinzelt beträgt die Entfernung zum nächsten Nachbarn weniger als 30 Meter. Mit wachsendem Bestand bildeten sich immer deutlicher Siedlungskerne mit locker verteilten Röhren und beträchtlichen Entfernungen zum benachbarten Brutgebiet.
Die Rückkehr der Bienenfresser in die Brutgebiete erfolgt zwischen Mitte Mai und Anfang Juni. Die meisten Jungvögel werden frühestens Ende Juli, eher Anfang August flügge. Nach dem Ausfliegen der Jungen schließen sich die Bienenfresser zu großen Verbänden mit bis zu 160 Individuen zusammen. Der Wegzug beginnt dann Mitte August und endet Anfang September.
In diesem von Trockenheit und Wärme geprägten Trockenrasengebieten des südlichen Elsass rund um den Bollenberg entstanden Lebensgemeinschaften, die durch ihre Zusammensetzung einzigartig sind. Sie konnten auf den kalkreichen Hügeln im Südeisass in einem milden und durch den Regenschatten der Vogesen sonnigen und regenarmen Klima bis heute überdauern. Insofern ist die Erinnerung an die Toskana nicht verwunderlich, es ist ein Stück Mittelmeer am Oberrhein. Wie der benachbarte Kaiserstuhl sind der Bollenberg aber auch weitere Elsässer Trockenhügel wie der Strangenberg, Lützelberg, Zinnköpfle und Bickenberg eine Attraktion für Naturliebhaber. Viele Naturfotografen kommen aufgrund des Orchideenreichtums im Mai. Auch für denjenigen Fotografen, der mehr an Landschaftsaufnahmen interessiert ist, bieten sich verschiedene Möglichkeiten. Morgens kann man gegen das Licht, das über den Schwarzwald und die Rheinebene auf die Hügel fällt nutzen, abends nach Westen, wo der Horizont mit dem Kamm der Hochvogesen abschließt.
Ein Blütentraum in rosarot der Diptam (Dictamus albus). Der Diptam ist durch seine knalligen Farben und seine Größe – er wird bis zu 1,20 m hoch – nicht zu übersehen und ein echtes Highlight der mitteleuropäischen Flora. Der Diptam gehört wie die Zitrone in die Familie der Rautengewächse. Bei Windstille verströmt er aus den zahllosen kleinen Ölbehältern den betörenden Duft nach Zimt und Zitrone. Doch Vorsicht! Das Öl wirkt phototoxisch und in Verbindung mit Sonnenlicht kommt es zu Hautverbrennungen. Der Diptam wächst vor allem in den warmen Säumen zwischen Trockenrasen und Flaumeichenwald. Die großen Bestände am Strangenberg kann man vom Pfad aus am Abend im Gegenlicht fotografieren, ohne Schäden zu verursachen. Meist hat man dabei durch das Gebüsch dahinter einen grünen Hintergrund, an einigen Stellen aber auch das herrliche Graublau, das sich durch entfernte bewaldete Hügel im Gegenlicht ergibt. Leider ist der Diptam nur für eine Woche etwa Mitte Mai in Hochblüte zu finden. Bei den in den Trockenrasen zahlreich blühenden Orchideen hat man einen zeitlich größeren Spielraum.
Die Smaragdeidechse ist eines der bekanntesten Relikte der Wärmezeit am Oberrhein. Perfekt wäre eine Aufnahme von einem Paar, das in Prachtfärbung auf einem freigestellten Stein nebeneinander liegt. Eidechsen wirken, wenn man ihnen in die glänzenden Augen schauen kann, hellwach und schlau, und so sollten sie auch fotografiert werden: im Auflicht.
Während der Paarungszeit in den ersten beiden Maiwochen sind die Tiere deutlich weniger scheu als im Sommer. Im Elsass hat man in den letzten beiden Stunden vor Sonnenuntergang reelle Fotochancen. Dann verlassen sie Gras und Gebüsch und klettern auf besonnte Felsen und Lesesteinriegel.
Die schönsten Zeiten für Fotografen sind auch am Oberrhein das zeitige Frühjahr und der Herbst. Ab Mitte März beginnt das Leben in den Trockenrasen mit der Blüte der Küchenschellen und den aus dem Winterschlaf erwachenden Eidechsen. Ab Mitte Mai wird das Licht sehr sommerlich und hart, so dass anspruchsvolle Bildermacher bei sonnigem Wetter nur etwa zwei Stunden am Morgen und drei Stunden vor Sonnenuntergang mit passablen Lichtverhältnissen rechnen können. Für viele Makroaufnahmen ist der Morgen günstiger, weil es dann öfter windstill ist. Das Abendlicht wird oft durch Dunst geschwächt und ist dann nicht mehr sanft sondern fahl. Außerdem entwickeln sich im Sommer nachmittags häufig Gewitter.
Im Oktober gibt es wunderbare Tage, dann leuchten die Trockenrasen in Ockergelb, durchsetzt vom grellen Rot der Laubfärbung von Kirsche, Blutrotem Storchschnabel und Blutrotem Hartriegel. Das ist auch eine gute Zeit, sich behutsam den Mauereidechsen (Podarcis muralis) zu nähern. Die Tiere tanken zum letzten Mal Sonne und tolerieren den sich näherneden Fotografen eher.
Große Teile der Elsässer Trockenrasen sind „Geschütztes Gebiet“ und dürfen daher nicht betreten werden, was jedoch häufig missachtet wird. Der verantwortungsbewußte Naturfreund und Fotograf sollte sich natürlich als Vorbild zeigen und die Verbote unbedingt beachten.
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