Hohe rhythmische, abgehackt vorgetragene Laute und ein in einen Gemeinen Schneeball Viburnum opulus) abfliegender Vogel lassen auf ein Nest schließen. Die Begeisterung ist groß, als der Blick durch das Fernglas einen braun-grauen Vogel mit einem auffälligen schwarzen Streifen auf Kopf und Rücken zeigt. Das ist ja ein Wendehals (Jynx torquilla). Der kam sicher aus einer Bruthöhle; die rhythmischen Laute sind sicher die Jungen in der Höhle. Dafür kommt eigentlich nur der Stamm einer trockenen Europäischen Lärche (Larix decidua) mitten in einem abgesperrten Jungwuchsgebiet für die Wald-Kiefer (Pinus sylvestris) in Frage. Der in Frage kommende Baum hat 3 schöne, wohlgeformte Spechtlöcher. Sie stammen wohl alle vom in brandenburgischen Kiefernforsten häufig vorkommenden Buntspecht (Dendrocopos major). Die obere Höhle scheint noch ganz neu zu sein, die mittlere schon älter und bei der untersten weiß man es nicht so genau.
Am nächsten frühen Morgen muß ich unbedingt in der Nähe ansitzen. Dazu wähle ich das Auto, um möglichst wenig menschliche Silhouette zu erzeugen. Als ich gegen 6:00 ankomme, ist von dem Wendehals natürlich nichts zu sehen. Auch die rhythmischen Bettelrufe der Jungen sind nicht zu vernehmen. Sollten die Jungen vielleicht in der Nacht oder noch früher am Morgen ausgeflogen sein? Dann wäre die ganze Mühe für ein wenig Wendehals-Fotografie umsonst gewesen. Ich gebe mir eine halbe Stunde. Plötzlich steht unvermittelt ein Wendehals am untersten Loch; die Bettelrufe der Jungen sind nun gut zu vernehmen. Das geschieht aber so schnell, daß ich die Kamera, eine Canon EOS 1DX Mark III am Canon EF 600mm f4 L IS II USM nicht in Position bekomme. Schade: verpaßt.
Wenig später steckt aber einer der Jungen neugierig den Kopf aus der Bruthöhle heraus. Zuerst nur zaghaft, dann wird der ganze Kopf aus der Höhle gestreckt. Nun ist auch die Morgensonne so weit fortgeschritten, daß die Höhle perfekt beleuchtet wird. Der Jungvogel ist schon genauso gezeichnet wie ein Alttier. Es dauert eine Weile bis einer der Eltern zum 2. Mal kommt. Zuerst wartet der Altvogel auf einem Lärchenast. Er positioniert sich so, daß die Sicht auf ihn durch Zweige und Zapfen leicht verdeckt ist. Nach einer Weile fliegt er auf einen näher an der Höhle befindlichen Ast, dann sitzt er in voller Schönheit quer auf einem Ästchen. Der Altvogel fliegt dann das Loch der Höhle von unten an. Er hängt unter der Höhle und klettert aber schnell an die Bruthöhle um die Jungen zu füttern. Alles ist sehr schön in der Foto-Galerie des Wendehals zu sehen. Die Fütterung selber von eher geringer Hektik geprägt. Das kennt man von Buntspechten doch anders. Ein weiterer Unterschied, der auffällt, ist die geringe Intensität bzw. Häufigkeit der Bettelrufe. Während die jungen Buntspechte ab einem bestimmten Alter gar nicht mehr mit dem Betteln aufhören könne, verhalten sich die Wendehälse verbildlich zurückhaltend und scheinen nur zu rufen, wenn ein Elternteil sich in der Nähe befindet. Da sich die Wendehälse laut dem „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“, Band 9 „Columbiformes – Piciformes“ von Urs N. Glutz von Blotzheim in der Brutphase ausgesprochen still verhalten und ich auch keine Lautäußerungen von den Altvögeln hören konnte, ist mir nicht ganz klar, auf welche Reize die Jungen – und dann auch noch in der Dunkelheit der Bruthöhle – reagieren. Angesichts der Höhe der Bruthöhle – ca. 1 Meter – ist die Stimmzurückhaltung eine durchaus nachvollziehbare Strategie, um nicht Prädatoren anzulocken.
Wenn bei den Wendehälsen gerade mal „Funkstille“ herrscht, vertreibe ich mir die Zeit, die Braunkehlchen (Saxicola rubetra) und Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola) in der Wiese auf der anderen Seite abzulichten.
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