Ein Strandspaziergang entlang eines ruhigen Strands der Ilha do Cardoso, im Süden Brasiliens. Es ist noch Morgen. In der Ferne sitzt etwas Braunes auf dem weißen Sandstrand. Ich traue meinen Augen nicht. Das ist doch keine „normale“ Limikole.
Beim Vogelbeobachten geht es oft darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und manchmal überrascht die Natur auf die unerwartetste Weise. Genau das ist vor einigen Jahren im Herbst an dem ruhigen Strand im Staate Sao Paulo passiert, als ich zufällig einen Weißbauchnachtschwalbe (Chordeiles nacunda) entdeckte, der sich am Morgen in der Sonne sonnte. Normalerweise sind Weißbauchnachtschwalbe Vögel der Dämmerung und der Nacht, aber dies war eine seltene Gelegenheit, einen außerhalb seines üblichen Tag- Nacht-Rhythmus zu beobachten. Was könnte diese Verhaltensänderung verursacht haben?
Der Weißbauchnachtschwalbe gehört zur Familie der Caprimulgidae, einer Gruppe nachtaktiver Vögel, die für ihr kryptisches Gefieder und ihre Aktivitäten von der Dämmerung bis zum Morgengrauen bekannt sind. Diese Art kann an ihrea im Vergleich zu anderen Nachtschwalben (oder Ziegenmelkern) größeren Körperumfangs, ihren breiten Flügeln und ihren charakteristischen weißen Markierungen erkannt werden. Die in Südamerika, insbesondere in Brasilien, Paraguay und Argentinien, beheimatete Weißbauchnachtschwalbe wird häufig in der Dämmerung beim Jagen von Insekten beobachtet. Sie bevorzugt offene Gebiete wie Savannen, Grasland und gelegentlich Küstenregionen.
Ein Grund, warum die Weißbauchnachtschwalbe für Vogelbeobachter ein Erlebnis ist, ist ihre bemerkenswerte Art der Nahrungssuche. Im Gegensatz zu vielen anderen Nachtvögeln, die tagsüber verborgen bleiben, kann man Weißbauchnachtschwalben manchmal dabei beobachten, wie sie auf der Jagd nach Insekten tief über offene Flächen fliegen. Es ist trotzdem äußerst ungewöhnlich, einen bei Tageslicht, insbesondere an einem Strand, sitzend zu sehen. Dies deutet darauf hin, dass Umweltfaktoren oder Erschöpfung durch ein Zuggeschehen dieses untypische Verhalten hervorgerufen hat.
Nachtschwalben sind im Allgemeinen dämmerungsaktiv, was bedeutet, dass sie am frühen Morgen und am späten Abend am aktivsten sind. Das Exemplar, das ich beobachtet habe, schien sich jedoch bei Tageslicht auf dem offenen Sand wohl zu fühlen und zeigte keine Anzeichen von Stress. Es gibt einige mögliche Erklärungen für dieses Verhalten.
Erstens könnte Migration ein Faktor sein. Die Weißbauchnachtschwalbe ist ein Langstreckenzieher, der zwischen seinen Brutgebieten im Süden Südamerikas und seinen Überwinterungsgebieten weiter nördlich wandert. Während des Zugs sind die Vögel manchmal erschöpft und können in weniger als idealen Lebensräumen ruhen. Möglicherweise hat diese Weißbauchnachtschwalbe am Strand eine Pause eingelegt, um sich zu erholen.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich vor einigen Jahren, als ich Anfang Juni bei grellem Sonnenlicht einen Ziegenmelker (Caprimulgus europaeus) am Sandstrand bei St. Peter-Böhl an der deutschen Nordseeküste entdeckte. Der Vogelzug war hier der offensichtlichste Grund, denn wir sahen ein dunkelbraunes Etwas über das Wasser fliegen und dann mitten auf dem Sandstrand bei St. Peter-Böhl landen. Auch damals waren wir sehr überrascht.
Be der Weißbauchnachtschwalbe ist eine weitere Möglichkeit, dass der Vogel einfach ein Sonnenbad nahm, ein Verhalten, das sich gelegentlich bei Vögeln beobachten läßt, um die Körpertemperatur zu regulieren oder sich von Parasiten zu befreien. Für eine nachtaktive Art wie den Weißbauchnachtschwalbe ist Sonnenlicht zwar selten, aber nichts Ungewöhnliches.
Einen Weißbauchnachtschwalbe tagsüber an einem Strand im Süden Brasiliens zu sehen, ist ein wirklich bemerkenswertes Erlebnis. Die Beobachtung einer normalerweise nachtaktiven Art außerhalb ihrer gewohnten Umgebung gibt uns die Möglichkeit, Details im Gefieder näher zu untersuchen, die einem sonst verborgen bleiben. Ob sich der Vogel während des Zugs ausruhte oder einfach ein Sonnenbad nahm, diese Sichtung bietet uns Vogelliebhabern eine seltene Gelegenheit, eine Weißbauchnachtschwalbe in einem neuen Licht zu sehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Halten Sie also das nächste Mal, wenn Sie an der Küste sind, die Augen offen. Die Natur könnte auch Sie überraschen.
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