Es war schon gegen Abend am Auslaß des Gülper See in die Havel. Die Luft war erfüllt von den Rufen ziehender Wasservögel. Eine sogenannte Weißkopfmöwe nahm auf einem Bootspoller Platz. Neben dem vertrauten Anblick der Schwäne und Enten erregte diese Möwe meine Aufmerksamkeit. Zuerst fielen mir die pinkfarbenen Beine und Füße auf. Die gewöhnliche weißköpfige Großmöwe am Gülper See ist die Steppenmöwe (Larus cachinnans), die gerade im Spätsommer und Herbst zu Dutzenden am Gülper See vorkommt. Irgendetwas an ihrer Haltung und ihrem Gesamterscheinungsbild schien neben der Beinfarbe nicht zu passen. Als ich mein Fernglas auf die Möwe richtete, verstärkte sich das Gefühl, dass ich vielleicht eine Silbermöwe (Larus argentatus) vor mir hatte. Zur Sicherheit schoß ich ein paar Fotos. Die Auswertung zu Hause bestätigte dann ein weiteres Merkmal, die jedenfalls mehr zur Silbermöwe als zu einer typischen Steppenmöwe paßte. Oder? Könnte dies eine Kreuzung sein?
Der erste Hinweis auf die möglicherweise hybride Abstammung dieser Möwe war das Aussehen ihres Kopfes. Der Kopf war nicht ganz typisch für eine Silbermöwe, da ihm die eckigere, quadratischere Form fehlte, die in der Literatur mit erwachsenen Tieren dieser Art assoziiert wird. Der Kopf dieser Möwe war länglicher und ähnelte dem schlankeren Profil, das für Steppenmöwen typisch ist, aber irgendetwas schien nicht zu stimmen. Während Steppenmöwen normalerweise einen feineren und schlankeren Schnabel haben, war der Schnabel dieses Vogels dicker und massiger, ein Merkmal, das eher für Silbermöwen charakteristisch ist. Diese Schnabelstruktur paßte eindeutig weder zu der einen noch der anderen Art und deutete auf die Möglichkeit einer Hybridisierung hin.
Die Färbung des Schnabels wies ebenfalls eine interessante Mischung von Merkmalen auf. Er wies nicht die komplett schwarzen, scharf abgegrenzten Markierungen auf, die man oft bei einer reinen Steppenmöwe findet, aber er passte auch nicht perfekt zu den Merkmalen einer Silbermöwe. Obwohl Schnabelform und -struktur wichtig für die Identifizierung von Möwen sind, erzählen sie allein nicht die ganze Geschichte. Auffallend fand ich in der Vergangenheit die schwarzen „Knopf“-Augen bei Steppenmöwen. Diese Augen waren aber eher hell und hatte auch einen feinen roten Augenring.
Das Fehlen einer vollständig hellen Iris, ein häufiges Merkmal erwachsener Steppenmöwen, verkomplizierte die Angelegenheit also weiter. Es gibt Steppenmöwen mit blasser Iris, aber die Iris dieses Vogels war nicht vollständig blass, was wiederum auf eine gewisse Mischabstammung hindeutet.
Ein weiteres Merkmal, das auf eine Hybridisierung hinwies, war das Fehlen einer ausgedehnten Streifenzeichnung auf dem Kopf. Reinrassige erwachsene Silbermöwen weisen normalerweise eine doch gut erkennbare, teils ausgeprägte Streifenzeichnung auf dem Kopf auf, insbesondere zwischen September und März, also im Grunde während der Wintermonate. Bei diesem Vogel war der Kopf jedoch relativ frei von solchen Markierungen, ein Merkmal, das eher mit Steppenmöwen übereinstimmt, die im Allgemeinen wenig bis keine Streifen aufweisen.
Dieses Fehlen von Kopfstreifen, kombiniert mit diesem Mix in der Schnabelstruktur und der durchgehenden P5-Markierung, deutete darauf hin, dass der Vogel keine reine Silbermöwe war. Der Gesamteindruck des Vogels, insbesondere seine Körperstruktur, schien jedoch zu robust für eine typische Steppenmöwe und tendierte damit eher zur Seite des Spektrums der Silbermöwe.
Wie jeder erfahrene Möwenbeobachter weiß, kann das Muster auf den ausgebreiteten Flügeln eines Vogels viel über seine Identität verraten. In diesem Fall erwies sich die Gelegenheit, eine Aufnahme mit ausgebreiteten Flügeln zu machen, jedoch als schwierig, da der Vogel bei Annäherung schnell das Weite suchte und keine Flugaufnahmen möglich waren. Dann wäre vielleicht ein Merkmal aufgefallen, nämlich die durchgehende, breite schwarze Markierung auf der Schwungfeder, die als P5 bezeichnet wird. Diese ist bei reinrassigen erwachsenen Silbermöwen nicht häufig zu sehen, da diese normalerweise eine schmalere P5-Markierung aufweisen oder diese sogar ganz fehlen. Dagegen wird eine auffällige P5-Markierung regelmäßig mit Steppenmöwen in Verbindung gebracht.
Die Identifizierung großer Möwen kann eine notorisch schwierige Aufgabe sein, insbesondere wenn es sich um mögliche Hybriden handelt. Während ein Foto des Flugs – also bei offenen Flügel – schlüssigere Beweise hätte liefern können, spricht die Kombination der beobachteten Merkmale – die durchgehende P5-Markierung, das Fehlen von Kopfstreifen, die gemischte Irisfarbe und die Schnabelstruktur – stark dafür, dass es sich um einen Hybriden aus Silbermöwe und Steppenmöwe gehandelt hat.
Wie immer in der Welt der Vogelbeobachtung passt nicht jedes Individuum genau in unsere Feldführer. In Fällen wie diesem sind sorgfältige Beobachtung, ein differenziertes Verständnis der Artenvariation und auch der saisonalen Merkmale der Schlüssel zur Entschlüsselung der Geheimnisse der Vogelidentifikation. Ob Hybride oder nicht, diese immer noch etwas rätselhafte Möwe fügte einem ohnehin schon faszinierenden Tag am Gülper See eine neue Ebene der Faszination hinzu.
Bird-lens ist vor allem eine Website, die die wachsende Nachfrage nach hochwertigen Aufnahmen der Vögel der Westpaläarktis befriedigen soll. Um die Nachfrage nach Top- Aufnahmen seltener Vogelarten befriedigen zu können, hat Bird–Lens.com auch gezielt Reisen an entfernte Orte unternommen. Dies alles um exzellente Fotos von Vögeln machen zu können. Die Ausbeute an Bildern, nicht nur von seltenen westpaläarktischen Vögeln, ist sehr gut. Das schöne Bild des Blogs ist nur ein erster Eindruck, was Sie in hinter dem Reiter “Picture Shop” sehr bald finden können. Hinterlassen Sie doch einfach eine Nachricht, wenn bird-lens.com mit einem Bild dienen kann.