Weite ursprüngliche Auenwälder, überschwemmte Wiesen bis zum Horizont, Seeadler auf jedem Baum. Wo gibt es das – noch dazu in Europa? Dazu fährt man entweder ins Donaudelta oder noch viel weiter. Eine Gruppenreise führte in der ersten Hälfte des Monats Mai 1998 ins Wolgadelta südlich von Astrachan im südlichen Russland. Danach wurden die Hügel-Seen-Region und die Federgrassteppe westlich sowie die Halbwüste nordwestlich von Astrachan angesteuert.
Der Tagesablauf in Damtschik an den 4 Tagen sah so aus. Um 5:45 aufstehen, dann kurz balancierend auf Holzbohlen zum Frühstück. Nach dem Frühstück so gegen 7:30 brachen wir in 2 Booten auf, um die verschiedenen Lebensräume des Deltas zu erkunden. Dabei unternahmen wir immer wieder kleine Landgänge. Ornithologisch am ergiebigsten sind jeweils die Besuche in der Kultukzone des Avandeltas, von der wir jeden Tag andere Abschnitte kennenlernten. Zum Mittagessen geht es zurück nach Damtschik. Das Essen ist die ganze Zeit überaus lecker und sehr reichlich sowie reichhaltig. Nach einer kurzen Siesta starteten wir normalerweise um 15:00 Uhr erneut mit den Booten.
Über Damtschik flogen jeden Morgen Dutzende von Kormoranen (Phalacrocorax carbo) und Reihern – Seidenreiher (Egretta garzetta), Graureiher (Ardea cinerea), Purpurreiher (Ardea purpurea), Rallenreiher (Ardeola ralloides), Nachtreiher (Nycticorax nycticorax),) – von den Schlafplätzen zu ihren Nahrungsgründen. Außerdem habe ich hier die ersten Rostgänse (Tadorna ferruginea) in freier Wildbahn gesehen. Zu einer Zeit, als diese Gänse noch nicht als Neozoen überall am Rhein zu sehen waren. Auch „wilde“ Höckerschwäne sind überaus häufig. Der Hit sind aber die seltenen Krauskopfpelikane (Pelecanus crispus). Gerade die Frühexkursion war häufig sehr ergiebig. So sieht man mal einen singenden Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus) oder eine Blauracke (Coracias garrulus). Immer wieder sind fliegende Sichler (Plegadis falcinellus) über uns zu sehen.
Die morgendliche Bootstour führte normalerweise flußabwärts, durch schmale Wolgaarme (russ. “erik“), die von Silberweiden und Schilf gesäumt sind. Nach ca. 1 Stunde ist das sogenannte Avandelta erreicht. Unterwegs begegneten wir etlichen Seeadler (Haliaeetus albicilla), Kormoranen (Phalacrocorax carbo) und Graureihern (Ardea cinerea), Purpurreihern (Ardea purpurea) und Rallenreihern (Ardeola ralloides). Wo sich der Kanal seenartig erweitert rasten Weissbart-Seeschwalbe (Chlidonias hybridus) und Trauerseeschwalben (Chlidonias niger). Weißflügel-Seeschwalbe (Chlidonias leucopterus) sind noch etwas früher im Jahr auf dem Zug zu sehen. Das Artenspektrum entspricht also in etwa dem, das man im Mai auch an Vögeln im Donaudelta zu sehen bekommt.
Niedrigwasser und stetiger Nordostwind, der das Wasser des Kaspisees vom Delta wegdrückt, sorgen dafür, daß breite Schlickflächen am Rand des Avandeltas, in der Kultukzone, frei gelegt werden. Ruhige Buchten, vorjähriges Schilf und niedergedrückte Rohrkolben bestimmen dann das Bild. Überhaupt scheint die Menge der zu beobachtenden Vogelarten stark vom Wasserstand abzuhängen. Gerade am Anfang der Tour, in der 2. Maiwoche kamen wir zu tollen Beobachtungen im Avandelta, da die Schlickflächen ungewöhnlich breit waren. Durch Kälte in den Wochen vorher bedingt war die Vegetation 2-3 Wochen zurück und der Wasserstand relativ niedrig. Die Kehrseite war, daß es erst wenige Rohrsänger und keine einzige Zwergdommel gab. Auf den Schlickflächen rasteten aber viele Vögel – insbesondere Limikolen. Gut zu sehen waren Dunkle Wasserläufer (Tringa erythropus), Zwergstrandläufer (Calidris minuta), Temminckstrandläufer (Calidris temminckii), Alpenstrandläufer (Calidris alpina) und Kampfläufer (Philomachus pugnax). Ein Lifer war aber für viele Mitglieder der Reisegruppe der Terekwasserläufer (Xenus cinereus), der an den ersten Tagen gesichtet wurde. Im Anschluß an die ersten Tage stieg der Wasserpegel zusehends. Der Grund war das wärmere Wetter, das Schmelzwässer in das Delta trieb. Außerdem herrschte dann ein recht starker, etwas unangenehmer Südostwind, der das Wasser des Kaspischen Meeres in das Delta trieb. Die freien Flächen im Avandelta wurden schnell überflutet und die Vögel weniger. Insbesondere rastende Limikolen wurden so gezwungen, nach Norden weiterzuziehen.
Wenn das steigende Wolgawasser die Wiesen überflutet hat, kommt es zu einem neuen Höhepunkt, weil dann viele Fische, insbesondere Wildkarpfen hier laichen und Seeadler in großer Zahl auf den überschwemmten Weiden auftauchen, um die Fische zu jagen. Ein Extra der Reise war die Beobachtung eines einzelnen, männlichen Steinrötels (Monticola saxatilis), der ganz am Anfang der Reise nahe Damtschik auf einem Feldweg gesichtet wurde. Der war wohl über sein Ziel – die Kaukasus – hinausgeschossen. Die ortsansässigen, russischen Ornithologen konnten da auch ein Häkchen an der Vogelliste machen. Der Steinrötel (Monticola saxatilis) war ein Lifer für dieses Gebiet.
Der Tagesablauf endete normalerweise damit, daß die Sonne um 19:15 verschwindet. Dann sollte die Reisegruppe wieder am Anleger sein. Denn dann gibt es vorzügliches Abendessen – meistens irgendwas mit Fisch (Karpfen). Nach dem Abendessen (19:30) hieß es die die Tages-Artenliste zu aktualisieren. Dann geht der Abend bei einem Wodka auch schon seinem wohlverdienten Ende zu.
Schon damals war Bird-Lens.com interessiert, Bilder der Vögel in der Westpaläarktis zu schießen. Reisen zu abgelegenen Orten wie Russland, um Bilder von seltenen Vögeln der Westpaläarktis zu machen, waren sehr erfolgreich. Die Tour damals wurde von Albatros-Tours in Person des Eigentümers, Jürgen Schneider, organisiert. Jürgen Schneider hatte bereits Jahren vorher enge Kontakte zu den maßgeblichen Leuten des Biosphären-Reservates Wolgadelta in Astrachan geknüpft und in Michail Selwjanski einen erstklassigen Dolmetscher und Organisator gefunden. Das schöne Bild, das Sie zu diesem Blog finden, ist nur ein Vorgeschmack dessen, was Sie in der Galerie “Picture-Shop” finden. Geben Sie mir einfach Bescheid, wenn ich Ihnen mit einem zusätzlichen Bild dienen kann.